Auch Sie haben schon zugegriffen. Mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit.
Die Backabteilungen bei Aldi und Lidl locken täglich Millionen Kunden an. Doch die Discounter-Backwaren enthalten bedenkliche Zusatzstoffe, von denen Sie vielleicht nichts geahnt haben.
Die Rede ist von Enzymen.
Jenen Substanzen durch die Brötchen aufgebläht werden, sodass sie länger frisch und voluminös aussehen. Das oberste Kriterium für Qualität, wenn es nach vielen Verbrauchern geht.
Bei Aldi und Lidl wandern die Teiglinge der Backwaren allerdings nur zum Aufbacken in den Ofen. Zuvor liegen sie vorgebacken und tiefgekühlt in der Truhe. Und bei Frost verlieren Teiglinge an Volumen. Also müssen sie mit technischer Hilfe aufgemotzt werden.
Michael Gusko, Geschäftsführer des GoodMills Innovationszentrums in Hamburg, geht davon aus, dass bei 95 Prozent aller Kleinbackwaren in Deutschland Enzyme zum Einsatz kommen. Während einige traditionelle Handwerksbäcker noch nach Naturrezept backen, verwenden Fabrikbäcker und Discounter Chemie pur.
Aldi Süd erklärt dazu:
„Um stets eine optimale Qualität unserer Produkte gewährleisten zu können, greifen unsere Lieferanten bei der Herstellung unserer Brote und Backwaren auf branchenübliche Enzyme zurück. Diese dienen ihnen als Hilfsstoffe für die Verarbeitung der Teigwaren.”
Branchenübliche Enzyme - übersetzt heißt das: Pentosanasen, Proteinasen, Heimicellulasen, Cellulasen, Xylanasen, Lipoxigenasen, Glucoseoxidase, Phospholipasen oder Novamyl. Substanzen, die mitunter aus einem gentechnisch veränderten Organismus stammen.
Brotexperte Lutz Geißler warnt:
„Bakterienkulturen etwa werden so gezielt gentechnisch manipuliert, dass sie besondere Enzyme erzeugen – zum Beispiel temperaturstabile Amylasen.”
Amylasen sind sehr häufig verwendete Enzyme. Weil sie einen Backvorgang überstehen können – selbst bei einer Temperatur, die deutlich über 90 Grad liegt. Sie spalten Stärke und wandeln sie in Zucker um. Dadurch kann sich die Hefe in dem Brötchenteig ernähren. Sie wächst und gedeiht und das Brötchen wird luftiger.
Genau solche künstlich aufgepimpten Brötchen werden täglich auch bei Aldi, Lidl und Co. angeboten – als „frisch gebacken”.
Die Frage ist: Was haben Sie mit Gentechnik am Hut? Das lässt sich schwer nachvollziehen. Denn deklarationspflichtig sind Enzyme nicht. Auf Zutatenlisten sucht man sie vergeblich. „Man kann sie nur nachweisen, wenn man ganz gezielt nach ihnen sucht”, sagt Brotexperte Geißler.
Der Leiter des Instituts für Lebensmittel- und Getränkeinnovation an der Hochschule Zürich, Michael Kleinert, ist indes sicher, dass gentechnisch veränderte Enzyme „weltweit weit verbreitet” sind:
„Auch in Deutschland besteht die Möglichkeit, dass Enzyme aus gentechnisch veränderten Organismen in Backwaren eingesetzt werden.”
Aldi Süd erklärte dazu auf Anfrage:
„Grundsätzlich handelt Aldi Süd keine Produkte, welche unter die europäische gesetzliche Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel fallen. Die Gentechnikfreiheit unserer Produkte wird von unseren Lieferanten vertraglich garantiert und regelmäßig durch unabhängige Institute überprüft. Es sind demnach keine gentechnisch veränderten Organismen in unseren Produkten enthalten.”
Von Lidl hat die Huffington Post auf Anfrage bislang keine Stellungnahme zu diesem Thema erhalten.
Geht es nach den Plänen der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA, dann sollen die Discounter künftig nicht umher kommen, den Einsatz oder die Anwendung von Enzymen anzumelden. Ab wann diese Bestimmung greifen soll, ist noch unklar.
Für den Verbraucher wäre eine solche Regelung insofern ein Fortschritt, dass öffentlich und für jedermann einsehbar wäre, welche Enzyme zu welchem Zweck eingesetzt werden dürfen.
Der weltgrößte Hersteller von Enzymen sitzt derweil in Dänemark: das Unternehmen Novozymes.
Als der Däne Lars Hansen noch das Europa-Geschäft verantwortete, ließ er keine Gelegenheit aus, die Wirkung von Enzymen auf Backwaren zu preisen. Einst schwärmte er:
„Durch unsere Substanzen wird der Backprozess vorhersehbar. Unser Teig reagiert immer gleich und führt zum gleichen Resultat, egal welches Mehl zu welcher Jahreszeit verarbeitet wird."
Inzwischen hat Hansen Novozymes verlassen. Die Absichten des Unternehmens bleiben die gleichen: die Märkte im großen Stil mit Enzymen zu versorgen. In der Pharmazie. Aber auch im Bereich Lebensmittel.
Dem „Süddeutsche Zeitung Magazin” sagte Hansen einst:
„Ich wäre wirklich überrascht, wenn es irgendwo bei Ihnen einen Supermarkt oder eine große Bäckereikette gäbe, die keines unserer Enzyme im Brot verwendet.“
Novozymes, so scheint, hat sich zum Ziel gesetzt, sie irgendwann alle direkt zu beliefern. Es ist eine Art Firmenphilosophie, dass Enzyme unser Essen besser machen. Man könnte fast sagen: Ideologie.
Wie hoch ist da noch die Hemmschwelle zu gentechnischen Veränderungen? Auf Anfrage der Huffington Post erklärt das Unternehmen, seine Back-Enzyme seien nicht genetisch verändert.
Der Einsatz von Enzymen, so erklärt das Unternehmen schriftlich, erleichtere die Kontrolle des Backvorgangs. Außerdem verbesserten sie das Endprodukt. Man erreiche „ein besseres Brotvolumen, eine bessere Krustenfarbe, eine bessere Brotelastizität und eine bessere Lagerfähigkeit”, teilt Novozymes mit.
Außerdem verweist das Unternehmen darauf, dass die Verwendung von Enzymen beim Backen den Einsatz chemischer Konservierungsstoffe wie Emulgatoren überflüssig mache.
Schöne, heile Enzym-Welt also. Die Frage bleibt: Inwieweit ist es glaubwürdig, dass der Weltmarktführer für Enzym-Anwendung nicht mit gentechnisch veränderten Substanzen arbeiten will? Erkenntnisse darüber würden in der Backbranche wohl für Unruhe sorgen.
Experte Michael Gusko hat die Wirkung solcher Enzyme bereits getestet. Sein Fazit:
„Genmodifizierte Enzyme bewirken eine dramatische Leistungssteigerung. Das Brot ist nach vier Wochen noch genau so frisch wie am ersten Tag.”
Die Lebensmitteltechnik scheint also ein neues Ideal gefunden zu haben: maximale Haltbarkeit. Und was ist mit dem Geschmack? Was ist mit der Gesundheit?
Brotfachmann Lutz Geißler sagt:
„Kein Mensch weiß, was technische Enzyme auf Dauer anrichten.”
Den Verbraucher hat das bislang jedenfalls nicht interessiert.
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